Um die verborgenen Geschichten sichtbar zu machen, die den Plätzen und Strassen Zürichs innewohnen, führte ich Folgendes durch:
In Internetforen (ronorp, etc.) befragte ich BewohnerInnen über ihr Erlebtes in der Stadt:
- – Wo bist du überrascht worden?
- – Wo hat man dich geküsst?
- – Wo hat man dich geschlagen?
- – Wo hast du zurückgeschlagen?
- – Wo hast du etwas verloren, das dir wichtig war?
- – Wo hat man dich gefunden, als du verloren warst?
- – Wo möchtest du sterben?
Zusätzlich dazu stellte ich im Theater Gessnerallee einen eigenen Erinnerungsbriefkasten auf, um auch auf analoge Weise zu Geschichten zu kommen.
Ich absorbierte die Geschichten, schnitt sie auseinander, komprimierte sie.
So wurden sie zu einer Masse, mit der ich arbeiten konnte, die ich zu einem Spinnennetz verarbeiten und über Räume spannen konnte.
Dünne Fäden schweben zwischen den hohen Stöcken, Wörter, Sätze und Satzfragmente sind auf sie aufgefädelt, sie werden in den Köpfen jener, die sie wahrnehmen, neu zusammengesetzt. Es entstehen neue Geschichten, Wörter werden neu eingebettet, Sätze nisten sich in Köpfen ein. Sie sind alle Teile eines Experiments: mit wie wenigen Wörtern kann man eine Geschichte erzählen? Wie viele Satzfragmente sind dazu nötig, dass man eine Geschichte schweben lassen kann? Wie viele, dass sie landet?
Die eigene Interpretation ist unabdingbar bei der Rezeption dieser Arbeit. Die Satzfragmente sind nur Initialzünder, alles andere spielt sich in den Köpfen der Betrachter ab.
Das Räumliche bildet ebenfalls einen wesentlichen Teil meiner Arbeit. Wenn ich auf der sprachlichen Ebene austesten will, wie wenig noch gerade genug ist, um eine Geschichte anzudeuten, dann mache ich auf der räumlichen Ebene dasselbe: mit wie wenig Mittel kann man Raum erzeugen? Ich verwende Bambusstäbe, Wörter und dünne Gummifäden. Sie spannen einen Raum auf, in dem man sich bewegen kann. Es sind „Wolken“ aus Wörtern, es sind imaginär dichte Räume und reell lichte Räume. Die Buchstaben sind so klein gewählt, dass man sich im Erinnerungsraum bewegen muss, wenn man den Geschichten folgen will. Die drei Bäume im Merkurgarten werden in den realen Erinnerungsraum integriert sein.
Das Gespräch mit der Künstlerin führte Ulrike Felsing, Dozentin an der Hochschule der Künste, Bern, http://www.multilingual-typography.com/.
Séra Ildi: